Es war einmal vor langer Zeit bei einem Stamm glücklicher Menschen, die friedlich lebten und ihrem Tagewerk nachgingen.
Es bestand Einigkeit zu den wesentlichen Dingen des Lebens und zu den Regeln des Zusammenlebens. So waren sich alle einig, daß es sich nicht gehöre, einen anderen Menschen einfach umzubringen.
Aber Menschen sind nun einmal so wie sie sind und das Unfassbare geschah – ein fehlgeleitetes Individuum ermordete einen anderen indem er dem Unglücklichen den Schädel mit einem Knüppel einschlug. Da hub ein großes Wehklagen an, der Übeltäter wurde geächtet, musste den Hinterbliebenen Kompensation leisten und wurde überdies zu einem Jahr Latrinenreinigen verurteilt.
Dies war einigen besonders fürsorglichen Menschen nicht genug – listig verlangten sie, es müsse ein Gesetz her, damit so etwas in Zukunft nicht mehr passieren könne. Dieses Ansinnen brachten sie auf jeder Gemeinschaftsversammlung vor, solange, bis die Mehrheit schliesslich ihre Ruhe haben wolte, und es ward ein Gesetz erlassen, in dem festgelegt wurde, daß es hinfort bei Strafe verboten sei, einen anderen mit einem Knüppel zu erschlagen.
Erleichtert ging man auseinander – es war etwas für die Sicherheit getan worden und die Verfechter der neuen Regel waren hoch zufrieden.
Wie groß war das Entsetzen, als kurz danach die erstochene, blutüberströmte Leiche eines Menschen gefunden wurde ! Mit der schönen neuen Regel hätte das doch gar nicht passieren dürfen !
Der Täter wurde ermittelt und gerade als man ihn in der Gemeinschaftsversammlung nach dem schönen neuen Gesetz verurteilen wollte, erhob sich ein anderer, um den Übeltäter zu verteidigen.
Man könne seinen ‘Mandanten’ nicht verurteilen, da die schöne neue Regel lediglich das Erschlagen mit einem Knüppel unter Strafe stelle – sein ‘Mandant’ habe aber erwiesenermassen ein Messer benutzt und sei daher freizusprechen.
Einen langen Augenblick herrschte betretenes Schweigen – waren sicih doch fast alle über den Wert des menschlichen Lebens intuitiv genauso einig, wie darüber, daß der doch ‘eigentlich’ bestraft werden müsse.
Aber alles Wehklagen half nichts – entsprechend der Regeln musste der Missetäter freigesprochen werden.
Die Befürworter neuer Regeln fanden sofort die Lösung des Dilemmas: ein weiteres Gesetz musste her, zumindest eine Erweiterung des vorhandenen Gesetzes, um auch dieses offensichtliche Schlupfloch zu schliessen. Man beschloß also, daß auch das Töten durch ertechen auf die Liste der strafbewehrten Dinge zu setzen sei.
Alle gingen erleichtert nach Hause ud waren froh, durch die Verbesserung der Regelungen für die Zukunft Unheil von der Gemeinschaft abgewendet zu haben.
Und so kam es, daß nach vielen Jahren niemand mehr wusste, welche Werte die Gemeinschaft eigentlich zusammenhielt, aber dafür jeder ein großes Buch mit Regeln zuhause hatte, in dem er ja in Zweifel nachlesen konnte, was gerade gültig war. Und der neue Berufsstand der Anwälte wuchs und gedieh prächtig.
Die besonders findigen darunter vertraten die Ansicht, daß mit jeder neuen Regel nicht etwa die Sicherheit verbessert oder die Freiheit eingeschränkt würde, sondern im Gegenteil die persönliche Freiheit sich vergrössere, da es mit Regeln doch so sei, wie mit Zaunpfählen zwischen zwie Bäumen:
Ohne Zaunpfäle gebe es zwischen den Bäumen nur eine große Lücke, durch den ersten Pfahl werde diese nicht geschlossen, sondern es entstünden stattdessen 2 etwas kleinere Lücken, jeder weitere Pfahl schaffe weitere Lücken und so sei es auch mit immer besser ausgefeilten Regeln – jede Regel erhöhe letztlich die Entscheidungsfreiheit für die Menschen.
Daher könne es auch keine Überregulierungen geben – im Gegenteil – die Menschen sollten froh und dankbar dafür sein, daß die Regelerfinder sich so viel Mühe machten, ihre Freiheit mit immer besseren und mehr Regeln ständig zu vergrößern.