Mit ‚Sicherheit‘ ins Abseits

Man könnte glauben, wir leben zu einer Zeit, die von allgegenwärtigen und vor allem höchst bedrohlichen Gefahren gekennzeichnet ist.  Selbst in als seriös geltenden Medien häufen sich die Meldungen der Art ‚xyz entdeckt! Millionen Menschen in Gefahr!‘
Ja da muss doch was getan werden ………… !
Das Geschäft mit der Angst hat Hochkonjunktur und das, obwohl wir – objektiv betrachtet – in einem der sichersten Länder dieser Welt leben und nicht etwa in einem von Dauerkrisen und sozialen Verwerfungen geschüttelten Staat.
Gleichzeitig scheint das Bestreben nach ‚mehr Sicherheit‘ und der Wille zur ‚Gefahrenabwehr‘ weltweit massiv zu steigen – zumindest in den ‚entwickelten‘ Staaten des Westens.
Die Politik springt auf diesen Zug auf und argumentiert allenthalben mit der Keule der Gefahrenabwehr und stellt die ‚höhere Sicherheit‘ als Benefit in den Vodergrund.
Herr Habeck von den Grünen sieht allenthalben große Gefahren auf uns zu kommen und na klar – er kann diese abwehren. Aber er ist mit dieser Art, Politik zu machen bei weitem nicht allein. Quer durch allen Parteien werden alle möglichen Gefahren – gerne auch mit Unterstützung eines Gremiums von Wissenschaftlern – an die Wand gemalt und natürlich erklärt, was getan werden müsse.
Jeder, der ein politisches Ziel erreichen möchte, findet ganz sicher die dazu passenden Gefahren, die sich ganz sicher verhindern lassen, wenn man nur seinem weisen Rat folgt.

Es ist schon erstaunlich – offenbar fühlen sich die meisten von uns unsicher – anders ist es nicht zu erklären, daß mit dem Hinweis auf ‚mehr Sicherheit‘ in der aktuellen Politik Dinge durchgesetzt werden können, die vor nicht allzu langer Zeit noch einen Aufstand ausgelöst hätten.

Dieses ‚Sicherheit als höchstes Gut‘ führt in eine Sackgasse.  Gesellschaft funktioniert, weil sie auf einem Wertekanon aufgebaut wurde. Wenn davon nur ein oder zwei Werte alles beherrschen, kommt das einer Marginalisierung aller anderen Werte gleich. Wenn wir Sicherheit und Gefahrenabwehr zum höchsten Gut erklären, geschieht dies auf Kosten aller anderen Werte – es muss ja bei Allem erst die ‚Sicherheit‘ überprüft werden – wo dies vorausschauend nicht möglich ist, wird eben die Überwachung verschärft. Das nennt sich dann Polizeistaat und hat – zum Glück – noch nie dauerhaft funktioniert.
Dasselbe geschieht, wenn wir den Schutz des Lebens zum absoluten Wert über allen erklären.
Das Schlüsselwort hier ist absolut – selbstverständlich ist der Schutz des Lebens ein Kernwert jeder Gesellschaft – genauso wie Sicherheit.
Und was ist mit dem Recht auf Entfaltung? Der Verhinderung von Armut? Gerechtigkeit? Freiheit? Dem Grundgesetz? Die Grundrechte?
Es ist zu kurz gedacht, zu glauben, es liesse sich ein Wert sozusagen als ‚Trunpfkarte‘ in den Vordergrund stellen. Dies bedeutet dann immer eine Entwertung aller anderen Werte.

Aufgabe der Politik ist es, in Situationen, wo unsere Werte miteinander konkurrieren, abwägende Entscheidungen zu treffen. Es kann nicht erwartet werden, daß unsere Politiker in allen Situationen über das nötige Fachwissen verfügen – dafür sind Wissenschaftler und Experten da. Aber es kann auch nicht sein, daß ohne irgendein Abwägen 1:1 umgesetzt wird, was ein paar Experten empfehlen. Dann wären unsere Politiker überflüssig.
Deren Aufgabe ist es, nach Abwägung möglichst vieler Aspekte ausgewogene Entscheidungen zu treffen.

Genau das passiert aber in vielen Fällen nicht – sobald die Keule Sicherheit herausgeholt wird, werden Abwägungen verworfen und es wird für die ‚Sicherheit‘ entschieden.
Dieses Vorgehen ignoriert völlig, daß es vollständige Sicherheit nicht geben kann – auch nicht in einem Szenario, in dem diese Sicherheit durch vollständige Überwachung erzwungen werden soll.

Der Focus auf ‚völlige Sicherheit‘ ignoriert die Tatsache, daß unser Leben nun einmal riskant ist und dass wir an Risiken auch wachsen – jedes überwundene Risiko ist schliesslich auch ein Gewinn an Erfahrung.  Ein Staat, der für uns jedes Risiko abnimmt, tut uns nichts Gutes, sondern erzieht uns zu unmündigen Bürgern, die sich in Allem auf den Staat verlassen – das kann nicht erstrebenswert sein. Ich bin zutiefst davon überzeugt, daß die individuelle Fähigkeit, mit Risiken umzugehen, eine für eine funktionierende Demokratie unabdingbare Fähigkeit ist.
Wenn uns diese Fähigkeit abhanden kommt, sind wir keine mündigen Bürger mehr, sondern Stimmvieh im Dienste einer paternalistischen Obrigkeit.