Das Ende der Energiegeschichte

Frankfurter Allgemeine Zeitung, 13.11.2020, Nr. 265, S. 17

Das Ende der Energiegeschichte

Die Umweltlobby verleugnet aussichtsreiche Techniken wie ihre Gegner den Klimawandel.

Von Christian Geinitz

In ganz Deutschland gibt es riesige Erdgasspeicher, sogar mitten in Berlin. Niemand käme auf die Idee, diese Lager als potentielle Bomben abzulehnen. Denn irgendwo muss der Brennstoff, der Duschwasser und Gebäude wärmt, zum Kochen dient und die Industrie versorgt, ja hin.Es findet also eine sinnvolle Abwägung zwischen Nutzen und Risiken statt. Eine ähnlich unverstellte Gegenüberstellung wünscht man sich zurEnergiewende. Doch die findet nicht statt, da das Thema Klimaschutz derart aufgeladen und emotionalisiert ist, dass eigentlich nur eineMeinung akzeptabel erscheint: zum Fortbestand der Welt die erneuerbaren Energien auszubauen – und dabei andere oder ergänzende Wege derVersorgung zu ignorieren. Keine der Parteien, die 2021 die neue Bundesregierung stellen könnten, weicht von diesem Grundkonsens ab.

Man könnte, in Anlehnung an Francis Fukuyamas Thesen aus den neunziger Jahren, von einem „Ende der Energiegeschichte“ sprechen. Auch Hegels Dialektik schimmert durch: In der Klimadebatte scheint das letzte Wort gesprochen, die letzte Synthese erreicht, in der alle Widersprüche zum ultimativ Richtigen führen. Doch stimmt das, gibt es nur einen Weg zum Klima-Heil? Oder erweist sich das „Ende der Energiegeschichte“ als ähnlich verfrüht wie Fukuyamas Analyse, nach dem Zusammenbruch des Sozialismus werde sich der überlegene Liberalismus überall durchsetzen mit Demokratie, Marktwirtschaft und Rechtsstaatlichkeit? Wie falsch der Politologe lag, sieht man in China oder Russland.

Möglicherweise ist es genauso irrig, den jetzigen Weg im Klimaschutz zu verabsolutieren. So gilt die Abscheidung von Kohlendioxid und dessen Speicherung in unterirdischen Kavernen in Deutschland als gefährlich und unzuverlässig. CO2 zu lagern – und sei es außerhalb der Ballungszentren -, lehnt die Bevölkerung angeblich ab, obgleich sie gegen Erdgasspeicher nichts hat. Dabei wäre die sogenannte CCS-Technik von zentraler Bedeutung, um ausreichend Wasserstoff zu erzeugen, den neuen Hoffnungsträger im Klimaschutz. Überwindet man die Denkverbote, tun sich kühne Perspektiven auf, etwa diese: Wie wäre es, die umstrittene Ostsee-Pipeline Nordstream 2 statt für Erdgas für diese Art von „blauem“ Wasserstoff aus Russland zu nutzen?

Ähnliche Widersprüche wie beim CCS finden sich in der Nutzung von Biomasse oder in der grundsätzlichen Ablehnung von Verbrennungsmotoren. Nicht die Antriebsart an sich ist schädlich, sondern der benutzte fossile Kraftstoff. Andersherum schonen die gefeierten E-Autos nicht per se das Klima, da ihre Ökobilanz, einschließlich der Batterien, oft miserabel oder zumindest unerforscht ist. Die Kernenergie ist in Deutschland politisch und damit auch wirtschaftlich tot, zur CO2-Vermeidung aber wäre sie ein guter Weg – der übrigens in vielen klimabewussten Ländern weiter beschritten wird.

Ehrgeizige Ziele, wie sie sich im europäischen „Green Deal“ oder im deutschen Klimaprogramm wiederfinden, sind nicht unbedingt realistische Ziele. Selbst die zuversichtlichsten Berechnungen erwarten, dass 2040 die fossilen Energieträger nach wie vor mehr als die Hälfte des Primärverbrauchs auf der Welt ausmachen müssen, damit der Wohlstand auch in ärmeren Regionen wächst und die Menschheit nicht im Dunkeln sitzt.

Die Debatte über die Kosten der Transformation sollte ebenfalls unvoreingenommen geführt werden. Die CO2-Preise müssen weiter steigen, um den externen Aufwand fossiler Brennstoffe angemessen zu internalisieren. Gleichzeitig reicht es nicht aus, beim Ökostrom nur die sinkenden Gestehungskosten zu betrachten. Einzurechnen sind auch die Systemkosten, etwa für den Ausbau von Netzen und Stromspeichern.

Die Zeche zahlt der Verbraucher, Privathaushalte und Wirtschaft müssen sich auf höhere Preise, Strafandrohungen und mögliche Wohlstandsverluste gefasst machen. Damit steigt die Gefahr großer Widerstände. Die Deutsche Bank fasst es in einer Analyse provokant so zusammen: „Wir müssen uns wohl oder übel fragen, welches Maß an Ökodiktatur (Ordnungsrecht) wir für akzeptabel halten, um uns dem Ziel der Klimaneutralität zu nähern.“

In dieser Woche hätte eigentlich die Weltklimakonferenz in Glasgow stattfinden sollen, ein Nachfolgegipfel von „Paris“ vor fünf Jahren. Dass das Treffen wegen der Pandemie verschoben wurde, ist auch deshalb bedauerlich, weil die internationale Diskussion hinter den Kulissen und auf großer Bühne ausbleibt. Die aber ist unverzichtbar, um über die besten Methoden zu streiten. Die könnten durchaus in Techniken liegen, die die deutsche Klimalobby in ähnlicher Weise verleugnet wie mancher Gegner den Klimawandel. Wer sich auf abweichende Meinungen einlässt, wird erkennen, dass das Ende der Energiegeschichte noch lange nicht erreicht ist.

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